BGH zu verdeckten Ausschüttungen und Hauptversammlungsbeschlüssen über Haftungsvergleiche
Das Urteil vom 30.09.2025 (Az. II ZR 154/23) erging auf die Klage von Kapitalanlegerschutzvereinigungen gegen einen Fahrzeughersteller, der mit dem vormaligen Vorstandsvorsitzenden und einem weiteren Vorstandsmitglied Haftungsvergleiche sowie korrespondierende Deckungsvergleiche mit den D&O-Versicherern geschlossen hatte. Die beklagte Aktiengesellschaft ging nach Untersuchungen von einer fahrlässigen Haftung der Vorstände aus, da diese Hinweisen auf unzulässige Softwarefunktionen in Fahrzeugen nicht nachgegangen waren. Nach den Vergleichen sollte der Fahrzeughersteller Zahlungen von insgesamt ca. € 285 Mio. (ein Bruchteil der entstandenen Schäden) erhalten und stellte zugleich die beiden Vorstände von näher benannten Ansprüchen Dritter gegen diese frei. Im Deckungsvergleich hatte der Hersteller sich zudem verpflichtet, u.a. sämtliche weiteren Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Die Hauptversammlung der Gesellschaft hatte den Vergleichen mit einer Mehrheit von über 99 % zugestimmt. Die klagenden Kapitalanlegerschutzvereine sind Aktionäre des Herstellers, hatten den Zustimmungsbeschlüssen widersprochen und haben auf Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise Anfechtbarkeit der Beschlüsse geklagt.
Auf die Revision der zuvor erfolglosen Kläger hat der BGH den Beschluss über die Zustimmung zum Deckungsvergleich für nichtig erklärt und das Verfahren hinsichtlich der Haftungsvergleiche an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Keine Nichtigkeit der Beschlüsse ergebe sich im Hinblick auf die Sperrfrist des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG für den Verzicht auf Haftungsansprüche, die mit der Pflichtverletzung und dem Eintritt des ersten Schadens beginne, und das Verbot der Rückgewähr von Einlagen gemäß § 57 Abs. 1 AktG. Die Vergleichsschlüsse stellten keine verdeckte Einlagenrückgewähr dar. Die Vergleiche hielten der auch nach Inkrafttreten des MoMiG durchzuführenden Prüfung, ob ein gewissenhaft und kaufmännisch handelnder Geschäftsleiter das Geschäft unter sonst gleichen Umständen so auch mit einem Nichtgesellschafter geschlossen hätte, also die Leistung durch betriebliche Gründe gerechtfertigt war (sog. Drittvergleich), stand. Den Klägern obliege der Beweis des Gegenteils. Die Entscheidung der Hauptversammlung über einen Vergleich mit einem Vorstand und Aktionär unterliege nur einer gerichtlichen Missbrauchskontrolle, keiner umfassenden Inhaltskontrolle. Den Vergleichsvereinbarungen fehle es nicht offenkundig an einer wirtschaftlichen Rechtfertigung, da die Beklagte einen dreistelligen Millionenbetrag endgültig erhalte. Es handle sich um eine unternehmerische Entscheidung, die auch die Vermeidung von Rufschädigungen nach außen berücksichtigen könne.
Die Vorinstanz habe mit unzureichender Begründung die Anfechtbarkeit der Haftungsvergleiche wegen unzureichender Information der Aktionäre gemäß § 243 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 AktG, namentlich einer Verletzung des Fragerechts aus § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 COVMG, verneint. Die Auskunft über die Vermögensverhältnisse der ehemaligen Vorstandsmitglieder, um die Aktionärsrechte in der Abstimmung ausüben zu können, sei – wie die wirtschaftliche Herleitung der Vertragspflichten – ein wesentliches Beurteilungselement. Denn der Bericht von Aufsichtsrat und Vorstand habe als einen der wesentlichen Gründe für die Vergleichsschlüsse angegeben, die finanzielle Leistungsfähigkeit der beiden Vorstände erreiche unter Anrechnung der Versicherungsleistung bei weitem nicht die ihnen zurechenbaren Schäden. Um dies nachvollziehen zu können, hätten die Aktionäre die verlangte Auskunft benötigt. Dass die Aktionäre über die Vergütung und Ruhegehaltsansprüche der beiden Vorstände informiert wurden, genüge nicht, da auch deren Vermögen für die Haftung in Anspruch genommen werden könne. Hinsichtlich des Vermögens habe eine Ermittlungspflicht des Vorstands bestanden, erst recht angesichts der vorab eigereichten Fragen.
Der dem Deckungsvergleich zustimmende Beschluss sei wegen eines Gesetzesverstoßes anfechtbar und nichtig. Denn in der der Einberufung zur Hauptversammlung beigefügten Tagesordnung seien die Aktionäre nicht wenigstens schlagwortartig gemäß § 121 Abs. 3 S. 2 AktG darauf hingewiesen worden, dass der Hersteller mit dem Deckungsvergleich auf Ansprüche gegen sämtliche seiner ausgeschiedenen und noch amtierenden Organmitglieder verzichten werde. Diesem Verzicht habe jedoch nach § 93 Abs. 4 S. 3 AktG bzw. §§ 117 Abs. 4, 93 Abs. 4 S. 3 AktG die Hauptversammlung zustimmen müssen. Der Nichtigkeit des Beschlusses stehe nicht entgegen, dass der Bericht des Vorstands über den Verzicht informierte. Denn der durchschnittliche Aktionär habe nicht damit rechnen müssen, erst in diesem Bericht über einen derart weitreichenden Beschluss informiert zu werden.